Ottilie W. Roederstein: Die vielseitige Schafferin

«Mein ganzes Interesse war Arbeit und Arbeit….. Ihr widmete ich mein ganzes Sein.» Diese Aussage hätten wir kaum von einer Künstlerin aus dem 19.Jahrhundert erwartet. Frauen mit diesem Berufswunsch kamen normalerweise aus dem Bürgertum und wollten sich dem Schöngeistigen widmen. Doch das Zitat kommt mir jeweils in den Sinn, wenn ich eines ihrer strengen Selbstporträts betrachte. Ob als junge Frau oder in späteren Jahren mit den Pinseln als Insignien der Malerin, nie brachte sie dabei ein Lächeln auf die Leinwand. Vielleicht ist diese Ernsthaftigkeit auch dem unkonventionellen Leben geschuldet, das sie führte.

Ottilie Wilhelmine Roederstein wurde 1859 in Zürich in eine Kaufmannsfamilie aus dem Rheinland geboren. Die Eltern waren kunstinteressiert und besuchten mit den Töchtern Museen. Zudem liessen sie Porträts der Familie malen. Dies alles inspirierte Ottilie und sie wünschte sich, auch Künstlerin zu werden. Die Frauen waren damals noch nicht in den Kunstakademien zugelassen und mussten in privaten Ateliers lernen.  Als Siebzehnjährige kam sie nach einigen Kämpfen, vor allem mit ihrer Mutter, zu Edouard Pfyffer ins Atelier, demjenigen Maler, der bereits die Familie porträtiert hatte.  Dort lernte sie Louise Catherine Breslau kennen und befreundete sich mit ihr. Die Ausbildungsinhalte genügten den beiden bald nicht mehr. Doch während Louise die Möglichkeit erhielt, nach Paris zur weiteren Ausbildung zu ziehen, verbaten dies Ottilies Eltern. Da ihre ältere Schwester nach Berlin geheiratet hatte, durfte sie zu ihr nach Berlin reisen. Beim Porträt- und Genremaler Karl Gussow erhielt sie neben einer fundierten technischen Ausbildung auch die Gelegenheit zum Aktstudium.

Endlich, 1882, durfte die Roederstein dann nach Paris, das damalige Zentrum des Kunstbetriebes. Sie erweiterte dort ihr Spektrum um Themen wie Allegorien, Stillleben und biblische Sujets. Sie beobachtete genau, welche Themen gefragt waren und richtete sich danach. Da sie sehr viele Auftragsarbeiten erhielt, konnte sie sich die fünf Jahre in Paris selber finanzieren. In verschiedenen Ausstellungen wurde ihr Talent trotz ihrer Jugend anerkannt und die Presse erwähnte sie wohlwollend. Sie erhielt auch Preise, zum Beispiel für dieses Gemälde ihrer Schwester Helene.

Zürich war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine aufstrebende Stadt und zog mit den Neugründungen von ETH und Universität auch viele ausländische Professoren und Studenten an. Nun gab es aber an der Universität die Möglichkeit, dass auch Frauen zum Studium zugelassen wurden. Die 1856 in München geborene Elisabeth Winterhalter kam nach Zürich, um Medizin zu studieren. Die Männer ihrer Familie waren traditionell Aerzte, aber in Deutschland war den Frauen ein Medizinstudium noch verwehrt. Da die Roederstein zu ihrer Pariser Zeit die Sommermonate jeweils in Zürich verbrachte, lernte sie 1885 dort Elisabeth Winterhalter kennen und lieben.

Der Kunstmarkt und das Publikum in Zürich und Paris unterschieden sich beträchtlich. Während ihrer dauernden Tätigkeit bediente die Roederstein den traditionellen Geschmack des Zürcher Bürgertums und fertigte vor allem Porträts an. Die Aktmalerei war in Zürich nicht so gefragt. Paris benötigte sie für ihre Inspiration und für ihre künstlerische Weiterentwicklung. In der Schweiz wie in Frankreich wurde ihr Werk geschätzt und da sie stilistisch breit aufgestellt war, erhielt sie stets genügend Aufträge.

Anfang der 1890 er Jahre zog sie mit Winterhalter, die ihr Studium beendet hatte, nach Frankfurt. Die beiden lebten offen als Paar zusammen. Die Roederstein eröffnete ihr Ausbildungsatelier für angehende Künstlerinnen und unterrichtete an der Städelschen Kunstschule und die Winterhalter arbeitete als Gynäkologin und wurde die erste Chirurgin Deutschlands.

Die beiden waren gut in die Frankfurter Gesellschaft integriert und gründeten mit Spenden das erste Frankfurter Mädchengymnasium.  Beide Frauen wollten ihren Beitrag leisten zur Frauenförderung. Zudem waren die 90er Jahre der künstlerische Höhepunkt im Leben von Roederstein. Sie nahm an zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich teil.  Wurde in der Kunstkritik gelobt und erhielt 1899 und 1900 zweimal die Silbermedaille an der Weltausstellung in Paris.

1907 kauften sich die beiden Frauen  20 Kilometer von Frankfurt entfernt in Hofheim ein Grundstück und bauten darauf ein Wohnhaus mit Ateliergebäude und Gärtnerhaus. Auch dies als Dokument, dass zwei Frauen es aus eigener Kraft «geschafft» hatten.

In den Kriegsjahren wurde das materielle Leben karger und Roederstein war sehr froh um die Aufträge, die immerhin noch aus der Schweiz kamen. Sie malte weiter in diesem impressionistischen Stil, der dazumal seine Kritik verloren hatte. Nach dem Krieg wurde der Ort Hofheim von französischen Truppen besetzt. Die Einquartierungen betrafen auch das Ateliergebäude. In dieser Zeit entwickelte sie langsam ihren neuen nüchternen Malstil.  Sie meinte dazu: «Diese Lebensjahre sind die ernstesten…. meines Daseins.» Und sinngemäss weiter, dass sie aufgewühlt von der Tragik der Kriegsfolgen täglich versuche, sich wahrhaftig mit Leben und Welt auseinanderzusetzen. Sie erhielt immer noch viele Aufträge vor allem aus der Schweiz, auch von Bundesräten und bekannten Persönlichkeiten für Porträts, sowie zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen. Doch ihre letzten Jahre, wegen dem Aufstieg der Nationalsozialistischen Partei und den gesellschaftlichen Veränderungen, erlebte sie niedergeschlagen. Im November 1937 starb sie in Hofheim. Ihre Partnerin Winterhalter überlebte sie um 15 Jahre.

Sie hat etwa 1800 Werke hinterlassen, von denen in einer Ausstellung im Kunsthaus Zürich 75 gezeigt wurden. Auch im Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen waren einige Gemälde von ihr zu sehen in der Ausstellung: Berufswunsch Malerin.

Es ist mir wirklich ein grosses Anliegen, dass die Leistungen von solchen Frauen wie Ottilie Roederstein und Elisabeth Winterhalter wiederentdeckt werden. Das sind die Feministinnen, die uns vorausgingen und den Weg vorbereiteten. Die Frage stellt sich, warum die Roederstein während 80 Jahren in Vergessenheit geriet. Dass sie ihren Stil nicht ins Abstrakte wechselte, ist keine Erklärung dafür, denn das taten Hodler, Amiet oder Giacometti auch nicht und diese Männer sind heutzutage noch bekannt.

www.kunsthaus.ch

www.hvmsg.ch

https://creative-brain.org/2020/09/22/schweizer-kunstlerinnen-im-19-jahrhundert-am-beispiel-von-louise-catherine-breslau-und-sophie-schaeppi/

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