Wer hätte das vor 45 Jahren gedacht, als Werner Bucher und Rosemarie Egger die Literaturzeitschrift orte ins Leben riefen? Die 200. Ausgabe ist soeben erschienen und das Jubiläum wird gebührend gefeiert. Leider kann Werner Bucher diesen Triumph nicht mehr erleben. Er ist im Januar 2019 im Alter von 80 Jahren verstorben.
Seit Jahrzehnten bin ich Abonnentin von orte und habe einiges mitbekommen, vom Umzug des Verlages von Zürich ins Appenzell, wechselnde Redaktionsmitglieder, den tragischen Tod von Virgilio Masciadri und den Handwechsel des orte-Verlages zum Appenzeller Verlag. Seither ist er Bestandteil des Verlagshauses Schwellbrunn.
Orte ist, soweit ich weiss, die älteste Literaturzeitschrift der Schweiz. Sehr schade ist, dass im letzten Jahr die andere Literaturzeitschrift „entwürfe“, die ich abonniert hatte, aufgeben musste. Alles, was in der Schweiz mit Literatur zu tun hat, ist stets angewiesen auf viel ehrenamtliches Engagement von notabene hochqualifizierten MitarbeiterInnen und wohlwollenden Kultursponsoren. Aber selbst bei den Literaten und Schriftstellerinnen geht es nicht ohne Selbstausbeutung. Mit unseren Abonnementsgebühren tragen wir bloss einen mageren Teil der Unkosten. Die Situation für die meist kleinen Verlage wird daher immer prekärer. So schlimm, dass einige bereits aufgegeben haben.
In orte werden neue Gedichte, Prosa und Essays veröffentlicht. Jede Ausgabe hat einen thematischen Schwerpunkt, wobei ein Autor, eine Autorin, ein Thema oder eine literarische Landschaft vorgestellt werden.
In all den 200 Ausgaben ist eine unglaubliche Vielfalt von aussergewöhnlichen Texten veröffentlicht worden wie Neue Ungarische Lyrik, Karibische Schweizer, Schreiben im Kloster, Missverständnisse, Klaus Merz, Theodor Storm, Ophelia streikt (neue Texte von Frauen), le persil chez orte, Ausstellung der Innereien etc.
Wo sonst, wenn nicht in orte, hätte ich diese immensen Inspirationen erhalten?
Selbstverständlich stelle ich euch wenigstens zwei Texte vor. Der erste von Lajser Ajchenrand (1911-1985) aus Jüdische Literatur in der Schweiz, Wohne dich ein im Wort, orte Nr. 180, S. 42
Der zweite von Manjola Brahaj, Lyrik aus Albanien, orte Nr. 189, S. 52
Da die Themen in den Texten oft eher ernst waren, gab und gibt es am Ende des Heftes jeweils den „ortemarktplatz“. Fake news at it’s best!!!
Und am Ende des Jahres werden wir treuen AbonnentInnen nochmals beschenkt: mit einer Poesie Agenda mit lauter Gedichten. Ich weiss, es ist altmodisch noch gedruckte Agenden mit sich herumzuschleppen. Doch nie wird die Zeit zum Warten so angenehm verbracht wie mit einem kurzen Gedicht. Glaubt mir, in der längsten Warteschlange findet ihr damit innert Minuten zu philosophischer Gelassenheit.
Nun gratuliere ich den Beteiligten am Projekt orte zur 200sten Ausgabe, dem langen Atem, den fundierten Literaturkenntnissen und hoffe, dass orte noch lange existiert.
Für mehr Informationen und Abonnemente: http://www.orteverlag.ch