Lee Miller: Facetten einer Künstlerin

Vielen Leuten ist Lee Miller bekannt als die Frau in Hitlers Badewanne. Damals war sie als Kriegsfotografin und Reporterin unterwegs.

Ich erinnere mich an einen englischen Dokumentarfilm, den ich vor einigen Jahren sah. Darin stellte ein bereits etwas älterer Mann mit immer noch erstauntem Ausdruck fest, dass seine Mutter eine weltbekannte Fotografin gewesen sei. Er befindet sich auf der Farley Farm in East Sussex und breitet zum Beweis Kartons mit Fotos vor uns aus. Da er Antony Penrose heisst, rätsle ich, wer seine Mutter wohl gewesen sei. Doch mit den Fotografien wird klar, es ging um Lee Miller. Wie konnte der eigene Sohn nichts vom bedeutenden Werk seiner Mutter wissen?

Lee Miller, WRNS probationer cleaning windows of training depot, England, 1944, © Lee Miller Archives England 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Nun, unser Wissen über Lee Miller als Künstlerin wird an einer ausführlichen Ausstellung kundig  erweitert.

1907 wurde sie in New York in eine Industriellenfamilie geboren. Sie lebte privilegiert und wurde von ihrem Vater, einem Amateurfotografen, oft fotografiert. Vor einer Vergewaltigung in ihrer Kindheit durch einen Täter im familiären Umfeld, hatte sie aber niemand geschützt.

Lee Miller, Floating head, Mary Taylor, New York, 1933, © Lee Miller Archives England 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Als sie 19 Jahre alt war, wollte sie in Manhatten die Strasse überqueren und wäre beinahe überfahren worden. In letzter Sekunde gerettet hatte sie Condé Nast, der Vogue Besitzer. Sie wurde Fotomodell, weil sie prototypisch die «moderne Frau» verkörperte. Und nicht bloss bei der Vogue erschien sie auf dem Titelbild. Obwohl sie bei den bekanntesten Fotografen als Modell vor der Linse stand, fand sie dies keine befriedigende Tätigkeit. In der Zwischenzeit wurde Man Ray in Paris bekannt mit seiner surrealistischen Bildsprache. Sie fuhr nach Paris, um bei ihm zu lernen. Er wollte keine Lehrlinge und war gerade daran, zu einer Reise aufzubrechen. Lee Miller blieb hartnäckig und wurde seine Geliebte und Komplizin. Dazu experimentierte sie im Atelier. Lee Miller war es, die die Solarisation per Zufall erfand. Sie hatte einen Moment nicht aufgepasst und das Bild wurde überbelichtet. Man Ray jedoch perfektionierte die Methode. Sie bildete sich in experimenteller Szenografie und Lichtführung weiter. Und im kreativen Umfeld des Surrealismus verwirklichte sie ihren eigenen künstlerischen Ausdruck. Sie emanzipiert sich von Man Ray und publiziert schon 1930 ihre eigenen Mode- und Werbefotografie. Zurück in New York hatte sie Einzelausstellungen und führte ihr eigenes Fotostudio.

Lee Miller, Portrait of space, Ägypten, 1937, © Lee Miller Archives England 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Aufgrund der Fotos in der Ausstellung erhielt ich den Eindruck, ihr Leben bis zum Zweiten Weltkrieg sei eine lange Abfolge von kreativem Schaffen, vielen Reisen, dem Zusammensein mit berühmten Leuten und erotischer Freizügigkeit gewesen. Unterbrochen nur von einer kurzen Ehe mit einem ägyptischen Kaufmann. 1937 lernte sie den britischen Surrealisten Roland Penrose kennen und zog bei Kriegsbeginn zu ihm nach London.

Lee Miller, David E. Scherman, dressed for war, London, 1942, © Lee Miller Archives England 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Und hier fotografierte sie auch die systematische Bombardierung durch die Deutschen. Dazu wurde sie offizielle Kriegsfotografin der US-Armee. Ab 1944 folgte sie den amerikanischen Truppen von der Normandie bis nach Deutschland an die Front und erlebte die Kriegshandlungen hautnah. Die erschütterndsten Bilder machte sie in den gerade befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau. Zugleich verfasste sie zahlreiche Reportagen, um den AmerikannerInnen zuhause die Realität des Krieges aufzuzeigen.

Lee Miller, Released prisoners in striped prison dress beside a heap of bones from bodies burned in the crematorium, KZ Buchenwald, 1945, © Lee Miller Archives England 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Alle von mir gelesenen Artikel über Lee Miller beschreiben, dass sie von ihrer Arbeit als Kriegsfotografin und -reporterin körperlich und seelisch gezeichnet war. So kam sie nach Kriegsende im Farmhaus in Sussex bei Penrose an und heiratete ihn. 1947 bekam sie ihren Sohn Antony. Sie verfasste noch eine Zeitlang  Bildstrecken über Mode und Kunst für die britische Vogue. Dann verstaute sie ihre Kamera mit den Fotos auf dem Dachboden des Hauses.

Lee Miller, Picasso and Lee Miller in his studio, Paris, 1944, © Lee Miller Archives Eng-land 2020. Alle Rechte vorbehalten. http://www.leemiller.co.uk

Mit Kind und Küche erfand sie sich als eine ganz andere Frau. Im Hinterkopf müssen wir die vorherigen Jahre des Mangels und des Hungers haben. Das Landleben mit grossem Gemüsegarten und den Besuchen der Londoner Kulturszene wurde zu ihrem neuen kreativen Experimentierfeld.  Sie widmete sich mit Hingabe dem Kochen. Bei ihren mannigfaltigen früheren Reisen und ihrem Leben in Kairo hatte sie die verschiedensten Inspirationen gesammelt. Zudem absolvierte sie auch Gourmetkurse. Aus all dem kombinierte sie «surrealistische» Menüs. Alle kamen zu ihr aufs Land, ob Picasso, Miro oder Tapiè und machten mit bei den fantasievollen Rollenspielen, die die Gastgeberin sich ausgedacht hatte. Hier habe ich euch ein paar Koch-Rezepte von ihr. Allerdings ohne Gewähr.

Auf einem Foto steht sie vor dem Kamin der Farm. Die Steine neben der Feuerstelle waren alle im Stile von Penrose bemalt, aber über dem Cheminée hing ein Gemälde von Man Ray.

 In der Ausstellung sind die Fotos, die aus jener Zeit gezeigt werden, von grosser Freude und atmosphärischer Leichtigkeit.

Aber anscheinend hatte sie seit dem Kriegsende auch depressive Phasen. In ihrem Tagebuch schrieb sie: «Vor allem würde ich versuchen, diese Glocke des Schweigens zu brechen, die sich über mir schliesst, sobald es sich um Gefühle handelt.»

Ihre Beziehung mit Man Ray ist allgemein bekannt als Verhältnis von Muse und Künstler.  Dabei waren sie durchaus ebenbürtig. Sie emanzipierte sich bald von ihm. Man Ray schrieb ihr regelmässig Liebesbriefe. Sein letzter kurz vor seinem Tod in Paris. Sie starb sieben Monate später 1977 auf der Farley Farm an Krebs.

Ich konnte euch nur einen klitzekleinen Ausschnitt über das vielfältige Leben von Lee Miller geben, aber es gab ja diese Ausstellung im Museum für Gestaltung im Toniareal, in der ihr so viel mehr von ihr sehen und über sie erfahren konntet:

Lee Miller – Fotografin zwischen Krieg und Glamour

www.museum-gestaltung.ch

#femaleheritage

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