Wer kennt nicht die französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir! Aber was wenigen Leuten ausserhalb der Schweiz bekannt ist, auch im deutschsprachigen Raum rüttelte eine Feministin mit ihrem aufsehenerregenden Buch FRAUEN IM LAUFGITTER an der männlichen Vorherrschaft, die Juristin und Autorin Iris von Roten.
Die aktuelle Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof erinnert uns an diese Persönlichkeit.

Wir müssen uns in die Fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückdenken. Das Ideal ist die Kleinfamilie mit dem auswärts arbeitenden und Geld verdienenden Vater und der tüchtigen, sparsamen und gepflegten Hausfrau, die für die Erziehung der Kinder und den Haushalt zuständig ist. In der Schweiz dürfen die Frauen nicht mal wählen und das damalige Ehegesetz verbietet es den Gattinnen, ohne die Zustimmung des Ehemannes einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Oberhaupt der Kleinfamilie ist der Pater Familias, der HausHERR. Das Leben spielt sich in den beiden Sphären Oeffentlichkeit und Häuslichkeit ab. Dabei ist klar, dass der Frau mit ihren «mütterlichen» Kompetenzen die häusliche Enge zugeteilt wird. Sogar die Frauenverbände übernehmen diese dualistische Ansicht, denn Frauen und Männer wären eben «andersartig». Und auch der Bundesrat meint damals, dass es den Frauen beim Denken an «logischer Konsequenz und Sachlichkeit» fehle.

Ein halbes Jahr vor der ersten nationalen Volksabstimmung zum Frauenstimm- und Wahlrecht 1959 erschien nun das Buch von Iris von Roten FRAUEN IM LAUFGITTER. 600 Seiten schonungslose Analyse der Situation von Frauen in der Schweiz und Anklage gegen Unterdrückung und Zurücksetzung. Im ersten Kapitel zeigte sie auf, welche Berufsfelder den Frauen überhaupt offenstanden, nur solche, die die Männer nicht interessierten: Mädchenberufe, Schwesternberufe und Fräuleinberufe. Alle schlechter bezahlt. Sogar gesetzlich verankert: Weibliche Büroangestellte verdienten in den Bundesämtern deutlich weniger als Männer mit derselben Ausbildung, «dank» der Schaffung tiefer Gehaltsstufen nur für Frauen.
Die dreibeinige Spinne, die auf dem Titelbild zu sehen ist, bewacht das Originalmanuskript. Und die Kapitel über Liebe, Mutterschaft und Haushalt bildeten die Dreifaltigkeit des weiblichen Alltags.
Ich kann euch ihren Witz, Sarkasmus und ihre stupende Analyse nur näherbringen, wenn ich euch einige ihrer Originalzitate zeige, von denen ein paar auf den Wänden des Ausstellungsraumes zu betrachten sind.
Sie hat eine aussergewöhnliche Biographie, die Susanne Woodtli geschrieben hat und die ihr in „Eine Frau kommt zu früh“ nachlesen könnt. Nur ein paar Sätze dazu: Iris Meyer wurde 1917 in Basel in eine gutbürgerliche Familie geboren. Sie lebte bereits als Kind in verschiedenen Ländern. Sie studierte eben kein geisteswissenschaftliches Fach, weil sie explizit einen Brotberuf wollte. Deshalb wählte sie Jura und immatrikulierte sich dafür in Bern, Genf und Zürich und promovierte. Sie schrieb bereits im Gymnasium Artikel für diverse Magazine und führte dies auch weiter.

1939 lernte sie Peter von Roten kennen und lieben. Sieben Jahre später heirateten sie mit einem speziellen Ehevertrag, in dem sie sich von allen hausfraulichen Pflichten entbinden liess. Zudem wollte sie eine sexuell offene Partnerschaft mit verschiedenen Liebhabern und völlige Unabhängigkeit in politischen und wirtschaftlichen Fragen. Sie wurde Partnerin ihres Mannes in der gemeinsamen Anwaltskanzlei. Sie reiste viel. War monatelang unterwegs in England und den USA , wo sie die feministischen Klassiker las. 1948 begann sie in der USA mit FRAUEN IM LAUFGITTER. 1952 wurde die gemeinsame Tochter Hortensia geboren und auch bei der Erziehung ihrer Tochter schlug sie ungewöhnliche Wege ein. 1958 veröffentlichte sie FRAUEN IM LAUFGITTER.
Das Werk schlug ein wie eine Bombe. Keine Zeitung, Zeitschrift, die es nicht rezensierte! Und die allermeisten Reaktionen waren kritisch bis ablehnend. Ein Affront, dieses Buch! Ein direkter unverblümter Angriff auf die Männerherrschaft in der auf konsens und „Anstand“ ausgelegten Schweizer Gesellschaft.
Das Buch war DAS Medienereignis. Es hagelte LeserInnenbriefe und auch Iris von Roten erhielt unzählige Kommentare. Der Tenor jedoch war, das falsche Buch zur falschen Zeit.
An der Basler Fasnacht wurde sie lächerlich gemacht. In entwürdigenden Szenen wurde sie verunglimpft. Häme und Spott wurden über sie ausgeleert. Das Buch löste einen solchen Skandal aus, dass sich auch die Schweizer Frauenorganisationen von ihr und ihrem Werk distanzierten. Sie hatte quasi jeglichen Rückhalt in der Gesellschaft verloren, obwohl es durchaus auch einige männliche und weibliche Bewunderer gab.

Dies alles verletzte sie sehr. Iris von Roten fühlte sich zu Recht verkannt. 1959 wurde das Frauenstimmrecht wuchtig abgelehnt. Sie schrieb noch ein Frauenstimmrechts-Brevier und danach legte sie die feministischen Themen beiseite. Sie arbeitete weiter als Anwältin und unternahm lange Reisen alleine. Sie veröffentlichte auch Artikel und ein Buch als Reiseschriftstellerin, hatte damit aber wenig Erfolg.

1971 wurde endlich das nationale Frauenstimm- und Wahlrecht angenommen. Sie selber zog sich immer mehr zurück und nahm sich Zeit für ein altes Hobby, die Ölmalerei. Ich kannte ihre Gemälde nicht und war überrascht von ihrer Konventionalität. Im Jahrhundert der wilden Kunstwerke malte sie brave und schöne Blumenbilder. Aber vielleicht war ihr Kontingent an Aufregungen einfach erschöpft und sie benötigte diese Malerei zur Kontemplation, zur inneren Ruhe.
1988 wurde sie von einem Auto angefahren und hatte mit massiven Einschränkungen ihrer Gesundheit zu kämpfen. 1990 beging sie Selbstmord.

Iris von Roten hatte stets offen und ehrlich für die Besserstellung der Frauen gekämpft und hatte an die Kraft von Argumenten geglaubt. Die damalige Gesellschaft vergalt ihr dies mit persönlichen Verletzungen. Iris von Roten blieb jedoch von ihrem Werk und ihrer Analyse überzeugt und relativierte die Aussagen ihres Buches nie. Sie wollte ein Fenster aufstossen und dies hatte sie tatsächlich gemacht. Wir später Geborenen ernten die Früchte dieser mutigen Vorkämpferin. Die meisten ihrer Forderungen sind nun erfüllt, andere harren noch der Umsetzung.

Ein Besuch der Ausstellung im Strauhof ist sehr empfehlenswert, zumal von ihrer Tochter ein zusätzliches, unpubliziertes Kapitel ihres Buches entdeckt wurde. Die Manuskriptseiten über Kleidung und Geschlecht.
Wenn euch die Geschichte der Schweizer Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert interessiert, müsst ihr unbedingt nach St. Gallen ins Historische und Völkerkundemuseum in die Ausstellung KLUG UND KÜHN. in den Bereichen Politik, Arbeit, Körper, Bildung und Religion erfährt ihr den Fortschritt, der hier glücklicherweise stattgefunden hat.