Käthe Kollwitz: Die Elendskünstlerin?

Im Gegensatz zu ihrer ungefähr gleichaltrigen Künstlerkollegin Ottilie W. Roederstein nahm Käthe Kollwitz in ihrem Schaffen weder Aufträge des gebildeten Bürgertums an, noch hatte sie deren Geschmack bedient. Ganz im Gegenteil!

Sie wurde 1867 in Königsberg in eine mittelständische Familie geboren. Ihr Vater unterstützte ihr künstlerisches Talent bereits früh und liess sie bei verschiedenen Lehrern in Königsberg und München ausbilden. In Berlin besuchte sie die Damenakademie. Durch ihre Familie wurde sie mit Gerhard Hauptmann bekannt. Nach der Uraufführung seines Stückes «Die Weber» fertigte sie darüber Lithografien an, die beeindruckten. Mit ihren Radierungen über den Weberaufstand hatte sie 1898 Erfolg an der «Grossen Berliner Ausstellung».

Davor, 1891, heiratete sie den Arzt Karl Kollwitz, einen Freund ihres älteren Bruders. Dieser war ein Armenarzt. Wie der Name schon sagt, führte er seine Praxis als Kassenarzt für Verarmte im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Er gründete den Sozialdemokratischen Aerzteverein und war Mitglied in der Deutschen Liga für Menschenrechte.

Berlin in den Jahren vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg müssen wir uns vorstellen als rasch wachsende Industriestadt mit mannigfaltigen sozialen Problemen: Prekäre Wohnverhältnisse, Gewalt gegen Frauen und Kinder, schlechte Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit, Hunger, Alkoholsucht und fehlendes Geld für medizinische Behandlungen. So sah oft die Realität aus für die DurchschnittsbewohnerInnen. Und dies ganz hautnah erfuhr Käthe Kollwitz durch die Praxis ihres Mannes. Es wurde selbstverständlich für sie, sich als Künstlerin mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

Aller Mühsal zum Trotz in ihrer Vierfachrolle als Mutter, Ehefrau, Künstlerin und Lehrerin an der Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen empfand Käthe Kollwitz ihre erste Lebenshälfte (bis 1914) als glücklich. Sie gebar zwei Söhne: 1892 Hans und 1896 Peter. Sie erlernte diverse druckgrafische Techniken und erhielt ein Stipendium für die Académie Julien in Paris. Dort konzentrierte sie sich in der Bildhauerschule auf ihre plastischen Arbeiten. 1907 hatte sie einen Studienaufenthalt in Florenz. In ihrem eigenständigen Werk integrierte sie Einflüsse von Realismus und Expressionismus und sie war sehr gut in die vielschichtige Kunstszene Berlins eingebunden. Ihre Kompositionen benötigten wenige grundlegende Elemente, mit denen sie universell verständliche Aussagen transportiert. Sie schuf damit emotionale Signale.

Akte von Käthe Kollwitz haben für mich nie den Hauch von Erotik, sie zeigen einfach bestes Handwerk.

Eine ihrer wenigen unpolitischen Serien ist die mit Mutter und Kind, die mir ihrer Innigkeit wegen gefallen. Sie interessierte sich für das liebevolle Beisammensein der beiden.

1914 ist die grosse Zäsur in ihrem Leben. Ihr erst 18-jähriger Sohn  Peter fällt im Ersten Weltkrieg.  Sie verarbeitete diesen Schlag auch künstlerisch wie mit dieser Pietà: Mutter mit totem Sohn. In einer früher Zeichnung war sie wohl noch ganz in ihrem Schmerz gefangen. In der erst 1937 geschaffenen Skulptur ging es ihr, wie sie in ihrem Tagebuch vermerkte, mehr um das Nachsinnen.

Als sich nach dem Krieg an den Kunstakademien endlich auch die Frauen als Studentinnen immatrikulieren konnten, erhielt Käthe Kollwitz 1919 eine Professur an der Preussischen Akademie der Künste. Keinesfalls verlor sie dabei ihre Achtsamkeit für die dramatischen Lebensbedingungen der armen Bevölkerungsschicht Berlins. Und es gab viel zu tun. Die Hyperinflation und die hohe Arbeitslosigkeit zeigten ihre desaströsen Spuren. In der Not waren auch unerwünschte Schwangerschaften ein grosses Problem der Frauen. Ueberall setzte sie ihr künstlerisches Talent ein, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Aber sie half auch tatkräftig bei der Schaffung von Suppenküchen mit. Zur Finanzierung sollte «Ernährungsgeld» gekauft werden.

Zudem beschäftigte sie sich künstlerisch weiter mit dem Thema Krieg. Im Zentrum ihrer Arbeit standen weiterhin Zerstörung, Armut und Leid. Sie war die Leiterin der Meisterklasse für Grafik an der Akademie bis ins Jahr 1933, als sie von den Nazis ihres Amtes enthoben wurde. Zeitgleich erhielt sie ein Ausstellungsverbot. Sie hatte zur Bewegung einer einheitlichen Arbeiterfront gegen den Nationalsozialismus gehört. 1940 starb ihr Mann und lebenslanger Begleiter. Ihre Wohnung in Berlin wurde ausgebomt und viele Grafiken und Drucke zerstört. Sie wurde von einem Bekannten (dem ehemaligen Prinzen Ernst Heinrich von Sachsen) in den Ort Moritzburg eingeladen. Kurz darauf verstarb sie 1945 dort. Im von ihr bewohnten Gebäude ist eine Gedenkstätte errichtet und sie wurde wie ihr Mann auf dem Berliner Zentralfriedhof bestattet.

Um auf meinen Anfangssatz zurückzukommen, Käthe Kollwitz und Ottilie W. Roederstein hatten aber auch wichtige Gemeinsamkeiten und das waren ihre feministischen Anliegen: bessere Ausbildung und Arbeitsbedingungen für Frauen, mehr Schutz für sie vor Gewalt, Zugang zu medizinischen Leistungen. Beide hatten einen Arzt, eine Aerztin als PartnerIn gewählt. Die Roederstein geriet nach ihrem Tode in Vergessenheit. Die Kollwitz nicht. Sie war und ist eine Ikone der linken Bewegungen. Die von ihr geschaffenen Plastiken sind an vielen Orten aufgestellt und im Ostteil von Berlin hat sie auf dem Zentralfriedhof ein Ehrengrab. Es gibt ein Käthe Kollwitz Denkmal auf dem Kollwitzplatz in Berlin, unzählige Plätze und Schulen sind nach ihr benannt. Und es existieren sogar zwei Käthe Kollwitz Museen. Obwohl in keiner Partei empfand sie sich als Sozialistin und ihr Werk verstand sie als Engagement für soziale, politische und feministische Verbesserungen.

An ihrem Beispiel können wir sehen, dass Kunst durchaus systemrelevant ist und dass viele KünstlerInnen beigetragen haben zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Unsere sozialen Errungenschaften sind hart und mit viel persönlichem Engagement erkämpft worden, auch von KünstlerInnen.

Adorno meinte: »Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt.» Auf Käthe Kollwitz‘  Werk trifft dies meiner Meinung nach nicht zu, sie konfrontiert uns jeweils direkt mit ihrer Wahrheit.

Die Fotos habe ich im Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin gemacht.

http://www.kaethe-kollwitz.de

https://creative-brain.org/2020/12/26/ottilie-w-roederstein-die-vielseitige-schafferin/

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