Ostschweizer Outsider Art trifft junge Kunst aus China

Da ich im März ein paar Tage im Appenzell verbrachte hatte, nahm ich mir vor, in Zürich die Ausstellung im Haus Appenzell zu besuchen. Es ist gar nicht so leicht, in dem Neo-Renaissance-Bau etwas zu inszenieren, das dem eindrücklichen Deckengemälde und der elegant geschwungenen Treppe die Show stiehlt. Nun habe ich zwar Kunst aus der Ostschweiz erwartet, gefunden aber habe ich die Gegenüberstellung von Kunst aus China. Der Grossteil der Objekte wird im Untergrund des Hauses gezeigt.

Der Titel TRASH ART sagt uns, mit welchen Materialien hier gearbeite wird: von Elektroschrott, Baumüll bis zu gelesenen Zeitungen oder Altkleidern.

Die Ostschweizer Outsider-KünstlerInnen HANS KRÜSI, KARL UELLIGER, MAX GOLDINGER und andere bedienen sich bereits seit Jahrzehnten dieses Abfallmaterials.

Bei L’ART BRUT oder auch OUTSIDER ART genannt, geht es um Werke von gesellschaftlich unangepassten Menschen, die auf ihre eigene autodidaktische Weise ihre Kunst entwickeln abseits des etablierten und akademischen Mainstreams. Im normalen Kunstbetrieb wird durchaus auch mit Wegwerfmaterialien experimentiert, aber dann oft mit einer gesellschaftskritischen Aussage. In der naiven Kunst der Outsider Art gehören alltägliche Fundstücke quasi zur Grundausrüstung. Dinge und Resten des Alltags verwerten sie, weil meistens nichts anderes zur Verfügung steht.

So weit so gut, dies hatte ich alles erwartet. Was ich nicht erwartet habe, ist, dass diese meist älteren, männlichen Künstler aus der Ostschweiz mit jungen Studierenden, meist Frauen, der China Academie of Art zusammen eine Ausstellung bestreiten.

Und nein, es gab keine Verständigungs-Mauer zwischen diesen Werken mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.

Die Kunststudierenden wurden während ihren Projektarbeiten vom Lockdown überrascht. Dieser hatte einen grossen Einfluss auf die Materialauswahl. In der Einsamkeit ihres Heimes entstanden so sicherlich auch subjektivere, persönlichere Werke.

WU XUE QIAN meint, dass sich in unserer schnelllebigen und mobilen Zeit auch der Begriff Heimat und ganz konkret das Elternhaus verändern. Sie wollte ihre Empfindungen bei der Umsiedelung ihrer Familie darstellen. Wie der Körper durch Kleidung geschützt wird, braucht es die Wände eines Hauses, um uns vor den Elementen zu schützen. Sie reiste zurück in ihre Heimat zum alten Haus. Dort umhüllte sie die Resten der Ruine mit roten Strickpullovern. Stellvertretend nahm sie verschiedene Stücke des Hauses mit. Diese sind in der Ausstellung nun mit roter Wolle geschützt.

GUO ZUI hat sich die Frage gestellt, ob ihr Leben eigentlich aus angehäuften Abschlusszeugnissen bestehe, die mit Fleiss erworben sind. Dies kam ihr in den Sinn anhand ihres Klavierdiplomes. Sie nahm ihre Diplome und wollte noch welche antiquarisch dazu kaufen, doch sie erhielt keine. Deshalb bettelte sie in ihrem Freundeskreis und ordnete die 52 Zeugnisse wie eine riesige DNA an. Die erworbenen Diplome sind in der chinesischen Erziehungskultur sehr prägend, sie speichern Informationen, wie die DNA in unserem Körper Informationen speichert.

JIANG SHAN liess sich vom Schattenwurf einer Kerze inspirieren zu ihren Gedanken über die Schnelllebigkeit. Computer haben das Leben beschleunigt, auch das Schreiben. Sie trug aussortierte Computertastaturen zusammen und fädelte mehr als 1000 Plastiktasten auf 232 Eisenstäbe. Entstanden ist ein sinnliches Objekt, das je nach Lichteinfall einen anderen Schattenwurf zeigt.

Neben diesen Werken der jungen Chinesinnen können aber auch diejenigen der älteren Ostschweizer bestehen wie zum Beispiel die Figuren aus der Serie SCHÜÜRLILÜT „Milchpanscher“ und „Halmsammlerin“ des ehemaligen Verdingbubens KARL UELLIGER.

Offensichtlich sind die Parallelen bei den Objekten von dem Knecht ERNST KUMMER und der Kunststudentin KE RONG CHENG:

Es stellt sich heutzutage die Frage, ob wir nichtwestliche Kunst überhaupt beurteilen dürfen. Vollziehen wir dann einen Akt der Aneignung? Warum verstehen wir diese Kunst aus China eigentlich? Hat in China bereits ein westlicher Kulturimperialismus stattgefunden? Lebt moderne Kunst nicht andauernd von wechselseitigen kulturellen Appropriationen?

Noch so vieles gäbe es zu berichten über diese aussergewöhnliche Ausstellung, die wir der chinesischen Kuratorin HAO HOHL-YU zu verdanken haben, aber geht selber hin und macht eure eigenen Entdeckungen.

http://www.hausappenzell.ch

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