Alexandra Weidmann: grellbunte Hintergründigkeit

Auf ALEXANDRA WEIDMANNS Kunst wurde ich im September an der FATart Fair in Schaffhausen aufmerksam. Das ist die Ausstellung, die ausschliesslich von Künstler:innen bespielt wird. Die leuchtenden Farben auf ihren Gemälden haben meinen Blick angezogen. Doch sind die Sujets selten leicht und fröhlich, wie der erste Eindruck suggeriert. Auf den zweiten Blick offenbaren sie oft verstörende Elemente.

Jedenfalls wollte ich Alexandra Weidmann und ihr Werk besser kennenlernen und besuchte sie im Oktober in ihrer Wohnung in Berlin. Ihr Atelier hat sie jedoch auf dem Land in Banzendorf. Dort ist auch ihr Brennofen, in dem sie  früher ihre Tonfiguren brannte. Aber die letzte Keramik hat sie vor Jahren gefertigt.

Ihren Schwerpunkt sieht sie heutzutage in der Malerei. Ihr Werk ist vielseitig aufgestellt mit ihren Grafiken, Skulpturen und den fast grellen Oelgemälden, zu deren Kolorierung sie «meine Fehlfarben» sagt.

Die Künstlerin wurde 1962 in Augsburg geboren und ist dort mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Zwei ihrer deutlich älteren Brüder studierten in München an der Akademie Kunst und alle jüngeren Geschwister malten und zeichneten zuhause unter der Anleitung der Brüder. Museums- und Ausstellungsbesuche sowie Kunstreisen auch ins Ausland fanden häufiger statt. Und neben dem Lesen gehörte dies zur Hauptbeschäftigung von Alexandra in ihrer Freizeit neben dem Besuch des Gymasiums.

Ihr Vater war Maschinenbau-Ingenieur und konstruierte Roboter. Und anstatt Kunst zu studieren, wählte sie ein «vernünftiges» Studium, das auch einen Broterwerb garantieren würde und zwar die Informatik. Dafür kam sie nach Berlin an die TU.

„Nach dem Vordiplom konnte ich mein Studium durch Tutorentätigkeit an der TU Berlin und später durch eine Werkstudententätigkeit bei Daimler-Benz finanzieren. Bei Daimler-Benz entstand auch meine Diplomarbeit, in der ich mit Hilfe von Fuzzy-Logik einen Abstandsregler entwarf, der automatisch den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug so regelte, dass Auffahrunfälle vermieden wurden. Damals waren das fast so etwas wie unrealisierbare Luftschlösser… „

Aber auch während des Studiums und danach beschäftigte sie sich mit Kunst. Sie nahm Zeichen- und Malunterricht. Kurse in der Technik der Radierungen, Freskenmalerei oder eine Keramikausbildung waren wichtige Bausteine für ihr heutiges Werk. Im Berliner Zoo übte sie für ihre Tierporträts, dabei war sie immer ganz froh, wenn ein Tier gerade schlief. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie an der TU und FU in Berlin als wissenschaftliche Mitarbeiterin, bis sie 1998 ganz auf die Karte Kunst setzte und als freischaffende Künstlerin startete. Seither stellte sie in unzählige Gruppen- und Einzelausstellungen aus, die ihr auf ihrer Homepage nachlesen könnt.

Sie hatte unterschiedliche stilistische Phasen, von denen mir aber diejenige der letzten Jahre besonders gefällt. Sie bearbeitet verschiedene Themen wie Familie, Heimat, Vergangenheit, die Geschlechterrollen, Gesellschaft im Wandel der Zeit. Dazu benützt sie oft alte Fotografien als Ausgangspunkt. Dabei verändert sie aber die dargestellten Protagonist:innen für ein Bildgeschehen, das sie nun neu kreiert. Sie wählt unterschiedliche Arbeitsweisen. Collagen: aus drei Fotos entsteht ein Gemälde. Farbliche Verfremdung: das sehen wir vor allem bei den Familienbildern. Zudem mit Kontextveränderung, Allegorie oder Semantikverschiebung. Dabei stellt sie selten die realen Grössenverhältnisse dar und verflacht die Gemälde künstlich, ignoriert die perspektivischen Regeln.

Das Wichtigste ist jeweils die Aussage, aber die will sie uns nicht vorgeben. Manchmal eindeutig wie auf dem Titelbild „Begegnung“: Eine Familie macht einen Bootsausflug. Frauen auf Sansibar lernen schwimmen mit Plastikbehältern. Nun bringt sie diese beiden harmlosen Foto-Sujets zusammen und schon entsteht die Frage: Muss man im Wasser treibende Flüchtlinge ins Boot holen und wie viele? Manchmal aber auch mehrdeutig. Bei den Allegorien und Semantikverschiebungen kommt es auf die (oft europäisch kunstgeschichtliche) Vorbildung der Betrachtenden an, wie die Interpretation danach ausfällt. Kein einziges dieser Bilder kommt ohne Störelemente aus, was mir sehr gefällt. So bleibt immer etwas Irritierendes hängen.

Was mich beim Betrachten ihrer Gemälde erstaunt hat, dass sie Fussball-Sujets auf die Leinwand bannt. Für mich ein Thema, das mir fern liegt. Dazu meint sie: „Meine Bilder aus der Fußballserie beschäftigen sich mit der Freude an der Bewegung, dem sportlich ausgetragenen Wettkampf, also mit der unsere Gesellschaft bestimmenden Kooperation und Konkurrenz, dem Umkippen von Härte in Unfairness und nackte Gewalt. Kampf, Sieg und Niederlage, Macht und Ohnmacht lassen sich miterleben. Fußball trägt mit seiner Heldenverehrung fast religiöse Züge. Man kann also im Kontext des Fußballs gesellschaftliche Ereignisse studieren. Ich transferiere gesellschaftliche Ereignisse in die Welt des Fußballs, indem ich Akteure in Fußballtrikots auftreten lasse. Hier dient der Fußball nur noch als Metapher für gesellschaftliche Ereignisse.“

Beim Gemälde „St.Georg gescheitert“ geht es möglicherweise um zerplatzte Mädchenträume. Der Ursprung: Der Ritter St Georg rettet die Prinzessin, die vom Drachen entführt wurde. Hier wird die Prinzessin zum rotgekleideten Jüngling auf dem Seil, der fast unbeteiligt zuschaut und der Drachen zum Krokodil. Der Heilige Georg im Kampf alleine gelassen. Wofür kämpft er?

Bei Hodlers „Holzfäller“ wissen wir alle, die Axt soll den Baum treffen. Bei der Adaption von Alexandra Weidmann sehen wir zwar das Werkzeug nicht ganz, aber das verletzliche Kind in dieser Position schockiert.

Ob die Künstlerin patriarchale Familien- oder Gesellschaftsstrukturen blosslegt, meistens tut sie dies sozialkritisch. Sie selber meint, dass allen ihren Bildern die Suche nach Antworten auf die Frage, was macht menschliches Zusammenleben aus, innewohnt. Was macht es angenehm, was unerträglich? So kommt es, dass ihre Oelbilder keineswegs „schön“ zu nennen sind ihrer plakativen Bonbonfarben zum Trotz.

Manchmal sind ihre Gemälde ohne Kontextwissen schwer zu entziffern und dieses kann heutzutage selten vorausgesetzt werden. Viele Künstler:innen wollen unterschiedliche Narrative beim Betrachten auslösen und das ist auch bei Alexandra Weidmanns Werken möglich. Schliesslich macht es doch die Freude bei der Betrachtung eines Kunstwerkes aus, dass es uns zu ganz individuellen Interpretationsmöglichkeiten hinführt. Sie möchte uns einladen, sich Geschichten dazu auszudenken. Und dies gelingt ihr ausgezeichnet.

Wer mehr über sie und ihr Werk erfahren möchte:  www.alexandra-weidmann.de

Die Fotos hat mir die Künstlerin freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

4 Antworten auf „Alexandra Weidmann: grellbunte Hintergründigkeit

  1. Sensationell. Ich kenne die Künstlerin seit Jahren persönlich und habe auch eines ihrer verstörenden Bilder bei mir zu Hause hängen. Der Bericht von Freya Sutter bringt das Schaffen von Alexandra Weidmann auf den Punkt. Gratulation!

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  2. Ihr Beitrag ist großartig! Wir kennen Alexandra seit einigen Jahren, sind im Internet auf sie aufmerksam geworden und konnten sie für bereits 4 Ausstellungen in unseren TRAFO- Galerien gewinnen. Die Bilder sorgen für heftige Diskussionen! Wir lieben ihre Sujets und Farben, das Streitbare und wie sie schreiben, das Verstörende.

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