Vivian Suter: Urwaldspuren

Bevor ich mich in diese Retrospektive von Vivian Suter aufmachte, wähnte ich mich als Kennerin von ihrem Werk. Nun, ich irrte mich und liess mich gerne ein auf ihr mannigfaltiges Werk, das im letzten Jahr vom Bundesamt für Kultur mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet worden war.

Vivian Suter wurde 1949 in Argentinien geboren und wuchs in Basel auf. Dort besuchte sie die Kunstgewerbeschule und war Teil der Kunstszene. Bald schon machte sie sich auf künstlerische Recherchereisen und diese führten sie vor allem nach Nord- und Südamerika. Vor vierzig Jahren liess sie sich dann in Guatemala nieder. Wie sie dort ihre Tage verbringt mit ihrer Mutter, der Künstlerin Elisabeth Wild (1922-2020), und ihren drei Hunden, das seht ihr anschaulich im Dokumentarfilm «Vivian’s Garden» in der Ausstellung. Die beiden Frauen leben in einer fast symbiotischen Beziehung in aneinandergebauten Häusern in der Abgeschiedenheit am Lago de Atilan. Es ist eine paradiesische und zugleich brutale Natur, die sie umgibt. Zweimal mussten sie Tropenstürmen und zerstörerischen Überschwemmungen standhalten. Hier zeige ich euch zuerst ein paar der kleinformatigen Collagen ihrer Mutter Elisabeth Wild, die oft symmetrisch aufgebaut sind:

Was eben neu für mich war, waren Vivian Suters grosse Bildreliefs aus zusammengeklebten Papierelementen, die aus den achtziger Jahren stammten. Die kannte ich nicht und nach dem Film, dessen Farbpalette vor allem grün/braun/rot war, erschloss sich mir sofort, dass sie ihre Umgebung zumindest farblich in ihre Kunst einbezieht.

In der Retrospektive werden neun Räume mit ihren Werken bespielt, die sehr unterschiedliche Phasen in ihrem Schaffen sichtbar machen. Zum Beispiel die eher strengen formale Konzepte oder das geometrische Formenvokabular.

In der Abgeschiedenheit ihres Ateliers, entrückt der normalen Welt, entwickelt sie sich immer weiter, lebt mit dem umgebenden Urwald. Manchmal vermeint man/frau in ihren aktuellen Werken eine Figur oder ein Tier zu erkennen, aber eigentlich wird ihr Werk immer freier und leichter.

Diese grossen, hauchdünn bemalten Leinwände sind ihr Markenzeichen geworden. Sie verdickt dazu Oel- und Acrylfarbe mit Fischleim und bemalt die Leinwände drinnen oder draussen um ihr Atelier herum damit. Und während diese trocknen, entweder aufgehängt oder am Boden liegend, lässt sie die Natur ihren Beitrag tun. Es lagern sich pflanzliche Bestandteile ab, die sie ebenso integriert wie die dreckigen Pfotenspuren ihrer Hunde, die darüber laufen. Sie gibt den Arbeiten keine Titel und datiert sie auch nicht. Zeit spielt kaum eine Rolle mehr im Leben dieser Künstlerin.

Zu dieser Art von schöpferischer Praxis wurde sie durch die beiden Tropenstürme im Jahre 2005 und 2010 angeregt oder gezwungen. Durch die Überschwemmungen wurden viele der bereits vorhandenen Gemälde zerstört oder mit Schlamm und Laub gezeichnet. Vivian Sutter liess sich dadurch zum Umdenken bewegen. Seither spielen die Natur und der Zufall eine Rolle in ihrem künstlerischen Gestaltungsprozess.

In der Ausstellung in Luzern werden die unzähligen Bilder mal locker mal dicht verteilt, mal neben mal übereinander in den Räumen an Holzlatten aufgehängt. Es dreht sich nicht mehr um die einzelne bemalte Leinwand. Wir bewegen uns in dieser Atmosphäre wie durch den dichten Urwald. Die Bilder treten miteinander in Kommunikation. Und wir stehen staunend in dieser neu erschaffenen Inszenierung, die diese Vielfalt erzeugt, in einem Labyrinth der Tücher und Farbexplosionen.

Jahrelang hörte und las man kaum etwas über die Künstlerin, bis der Kurator Adam Szymczyk sie 2017 mit ihrer Mutter zur Dokumenta nach Kassel einlud. Seither folgten einige weitere Ausstellungen. Ich kann die grosse Resonanz auf das Werk von Vivian Sutter gut nachvollziehen. In ihrer selbstgewählten Weltabgeschiedenheit kreiert Vivian Sutter Kunst, die den Zeitgeist widerspiegelt.

Die Retrospektive im Kunsthaus Luzern dauert noch bis am 13.2.2022

http://www.kunstmuseumluzern.ch

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