Im Haus Appenzell neben der Bahnhofstrasse gibt es immer wieder spezielle Ausstellungen zu sehen. Der Titel der aktuellen heisst „Alles nur Theater?“. Hierbei geht es um die Bretter, die die Welt bedeuten, aber im Miniaturformat und meistens in Papierform.



Im 19. Jahrhundert, als sich das Bürgertum etablierte, waren die Schauspiel- und Opernhäuser auf ihrem Höhepunkt. Die klassische Bildung war das Distinktionsmerkmal zu den unteren gesellschaftlichen Schichten. Die Kenntnisse in Mythologie, Literatur, Philosophie, Kunst und der Musik waren die Basics, um an den Gesprächen während der Pausen teilnehmen zu können. Aber auch die entsprechende Kleidung, der Schmuck der Anwesenden und ein bestimmtes Benehmen waren Voraussetzungen, um zum elitären Kreis zugelassen zu werden.

Und wie so oft, diffundierten die Interessen der Erwachsenen in die Umgebung der Kinder. In den bürgerlichen Familien waren Papiertheater daher sehr beliebt als Spielzeug. So konnte bereits der Nachwuchs in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Und sicherlich machte das den damaligen Kids viel Spass, in ihrer Fantasie in andere Zeiten, Länder und Kulturen zu reisen und von den Erlebnissen der Protagonist:innen zu träumen. Es gab Verlage, die extra diese Wünsche erfüllten und die für die gängigsten Opern, Theaterstücke und Märchen Bastelbögen zum Zusammenbauen druckten.
Thomas Mann hat in seinen Buddenbrooks den Weihnachtsabend geschildert, in der die Familie wie bei einem «Leichenbegängnis» zusammenfand und der schrecklichen Dinge harrte, die der Schwiegersohn über die Familie gebracht hatte. Und mittendrin weilte das Kind Hanno und wartete auf sein innig gewünschtes Geschenk. Er erhielt ein so grosses Puppentheater, wie er es sich kaum vorzustellen gewagt hatte. Dargestellt war der zweite Akt aus Beethovens Oper Fidelio. Und Hanno war entzückt und überglücklich, während die Familie von Sorgen geplagt herumstand.
Das Spielzeug war damals normalerweise in strikte Geschlechterrollen aufgeteilt. Buben und Mädchen hatten in unterschiedliche Lebenswelten sozialisiert zu werden: Jungs mit Heldenrollen und Technik, Mädchen in hausfrauliche Fertigkeiten und mütterliche Tätigkeiten. Im Spielzeugmuseum kann mensch mehr darüber erfahren.
Dem Nachwuchs aus ärmeren Familien blieb neben der Arbeit in Fabrik, Haus und Hof kaum mehr Zeit und Gelegenheit zum entspannten Tun. Und wenn, dann mit einfachsten Bällen, Kreiseln oder simplen Holzfiguren. Den sozialen Errungenschaften auf Druck der Linken Parteien sei Dank dürfen sich heutzutage alle Kids dem Spiel widmen.



Auch zu bewundern aus der damaligen Zeit ist Toblers Marionettentheater, eine Heimpuppenbühne, die mit einiger Technik ausgestattet ist. Die Münchner Gebrüder Tobler, deren Vater aus Trogen stammte, hatten sogar Rittersäle oder Räuberstuben verkleinert und originalgetreu nachgebaut mit Versenkungen und (damals hochmodernem) elektrischem Licht. In diesem Beispiel hier aber noch mit altmodischen Kerzen.




Wenn ihr im Haus Appenzell seid, dürft ihr nicht vergessen, in den untersten Stock zu gehen, denn dort befindet sich die grösste Ausstellungsfläche. Auf einem Teil davon wird eine Auswahl der puppenstubengrossen Opernszenerien des Schwamendinger Originals Bernhard Vogelsanger gezeigt sowie ein Film über seine Inszenierungen. Ich habe vor ein paar Jahren einen Blogbeitrag über ihn geschrieben. Und obwohl er im 20. Jahrhundert lebte, passen seine sorgfältig gestalteten Bühnenbilder ausgezeichnet in diese Ausstellung.






https://creative-brain.org/2019/01/27/bernhard-vogelsanger-der-die-puppen-singen-und-tanzen-laesst/
Denn überall dürfen wir mir kindlichem Blick schwelgen in farbigen Dekors und Geschichten aus der Vergangenheit. Draussen lassen wir die Realität der aktuellen Situation der Schauspiel- und Opernhäuser mit ihrem schrumpfenden Publikum und den aufgeregten Diskussionen über genderfluide Inhalte und deren woke Umsetzungen. Dabei entstand bereits im Barock die Oper „Eliogabalo“ mit einem queeren römischen Kaiser. Aufgeführt wurde sie aber erst in der Neuzeit.

Der tristen Jahreszeit entfliehen könnt ihr mit der ganzen Familie in dieser farbenprächtigen Ausstellung noch bis Ende April und angenehmerweise kostenlos.